Vatikan

Zurück Home Nach oben Weiter

Die Wiederentdeckung des Heiligen Abendlandes

Der schwarze Mythos

 

Die Wiederentdeckung des Heiligen Abendlandes

[in: Ossietzky 25/2006, S. 946-948]

Über die Vorlesung, die Joseph Ratzinger als Papst Benedikt XVI. am 12. September an der Regensburger Universität gehalten hat, wird immer noch heftig diskutiert. Allerdings nur über jenen antiislamischen Affront, der auffälligerweise gleich in der Einführungspassage plaziert war. Nun sind die Ausführungen zum byzantinischen Kaiser Manuel II. tatsächlich so dubios, daß man sich damit lange aufhalten kann. Und vielleicht ist das auch der Grund dafür, daß die eigentliche Provokation dieser Vorlesung noch gar nicht in den Blick gekommen ist, von in theologischen Fragen ungeübten Journalisten auch gar nicht wahrgenommen werden konnte. Das wirklich Spektakuläre dieser Vorlesung besteht nicht in der eher kuriosen Suggestion, die mittelalterliche Kirche habe - im Unterschied zum Islam - eine »Glaubensverbreitung durch Gewalt« abgelehnt, Es besteht vielmehr darin, daß der Papst eine neue theologische Lehre initiiert hat.

Auf den ersten Blick kann man das übersehen, wenn man nicht davon ausgeht, daß in einem solchen Text jedes Wort gewichtet wird. Zudem kommt diese neue theologische Doktrin mehr beiläufig daher und auch noch in indirekter Gestalt. Aber vermutlich gehört auch das zur Methodologie einer Initiation, die bewußt erst das diskursoffene Professoren-Katheder sucht, bevor ex cathedra verkündet wird. Die entscheidende Aussage aber ist prägnant formuliert. Sie lautet: »Das Zusammentreffen der biblischen Botschaft und des griechischen Denkens war kein Zufall.«

Nie zuvor hat ein römisch-katholischer Papst eine solche These vertreten, und kein Konzil wäre je auf die Idee gekommen, zwischen der biblischen Botschaft und dem griechischen Denken einen Zusammenhang herzustellen, der auf eine »göttliche Fügung« schließen ließe – denn nichts anderes kann nach katholischem Verständnis das Gegenteil eines »Zufalls« sein. Gewiß hat sich die biblische Botschaft, historisch gesehen, tatsächlich mit griechischem Denken verbunden - und wurde dabei allerdings auch bis zur Unkenntlichkeit deformiert, was im römischen Katholizismus und also auch von Benedikt XVI. vehement bestritten werden muß. Der Papst aber resümiert hier nicht die Theologiegeschichte der Alten Kirche, er interpretiert sie - wenn auch nur im Ansatz, so doch völlig unmißverständlich - in einer Perspektive, in der den alten Griechen eine theologische Würde in der Heilsökonomie Gottes zukommt. Und so spricht er denn auch ausdrücklich von einem »von innen her nötigen Aufeinanderzugehen(s) zwischen biblischem Glauben und griechischem Fragen«.

Darüber dürfte es unter römisch-katholischen Theologen noch zu heftigen Diskussionen kommen. Aber nicht nur dort, denn dieser Ansatz impliziert eine ganze Reihe höchst suspekter Konsequenzen. Abgesehen von dem sublimen Antijudaismus und also der Relativierung der theologischen Bedeutung alttestamentlicher Geschichte als der Kehrseite dieses »Aufeinanderzugehens« - die politischen Implikationen dürften auch für Nicht-Theologen brisant werden, auch wenn es zunächst durchaus sympathisch wirkt, daß ein Papst für die »Vernunft« Partei zu ergreifen scheint. Im Kontext seiner Vorlesung geht es dabei aber gar nicht um die allgemeine menschliche Vernunft, sondern um den griechischen »Logos«, der nun zum Maß menschlicher Vernunft wird. Spätestens in diesem Zusammenhang wird es hochgradig politisch, denn die Rede von den alten Griechen ist zugleich immer auch die Rede von der »Wiege des Abendlandes«. Und Benedikt XVI. selbst insistiert auf einer noch umfassenderen Tragweite, wenn er eigens betont: »Dieses hier angedeutete innere Zugehen aufeinander, das sich zwischen biblischem Glauben und griechischem philosophischem Fragen vollzogen hat, ist ein nicht nur religionsgeschichtlich, sondern weltgeschichtlich entscheidender Vorgang, der uns auch heute in Pflicht nimmt.«

Damit sind die entscheidenden Parameter benannt, die in der Papst-Vorlesung zu einem weltgeschichtlichen Politikum verdichtet sind: Das Abendland Europa, durch die alten Griechen gewürdigt, eine besondere Rolle in der Ökonomie Gottes innezuhaben, hat diese außerordentliche Rolle in der Weltgeschichte heute wieder einzulösen. Vielleicht hatte der Papst einkalkuliert, daß eine solche Botschaft unmittelbar und weltweit zu Turbulenzen führen würde, und deshalb zunächst für einen Eklat gesorgt, der sich auf die islamische Welt beschränken ließ. Inzwischen aber ist die Botschaft auch bei den Deutschen angekommen und aufgenommen worden. Der Spiegel vom 27. November 2006 brachte mit seiner Titelgeschichte die Schlagzeile: »Die Entdeckung der Vernunft. Der Ursprung der abendländischen Kultur im alten Griechenland«. Und im Text konnte man nun schon einmal lesen: »Der kollektiven Buckelei des Morgenlandes war ein neuer Menschentyp entgegengestellt: stolz, neugierig, gescheit.« Man darf gespannt sein, wie solche Verlesungen in China ankommen, aber auch in Amerika, das bisher als Titelträger für »God's own country« galt.

 

Der schwarze Mythos

[Rezension: Holger Michael, Der schwarze Mythos. Die katholische Kirche Polens im XX. Jahrhundert, Kai-Homilus-Verlag, Berlin 2009, 312 Seiten, in: Rotfuchs 141, Oktober 2009, S. 24]

Den Mythen und Legenden wird inzwischen nachgesagt, sie würden sich vor nichts mehr fürchten als davor, daß sich Holger Michael ihrer annimmt. Dann nämlich müßten sie ihren Geist aufgeben und sich in historische Fakten auflösen, die schließlich eine ganz andere Geschichte erzählen als die vorsätzlich kolportierte. Tatsächlich ist dem Historiker Michael auch in seinem jüngsten Buch wieder eine solche Entmythologisierung gelungen. „Der schwarze Mythos. Die katholische Kirche im XX. Jahrhundert“, 2009 im Berliner Kai Homilius Verlag erschienen, ist ein Werk, das sich den besten Traditionen europäischer Aufklärung verpflichtet weiß und in seinen stringenten Analysen jene marxistische Geschichtswissenschaft zum Tragen bringt, ohne die Geschichte ohnehin nicht wirklich verstanden werden kann. In 10 Kapiteln zeichnet Michael die Geschichte der katholischen Kirche in Polen von der Christianisierung im 10. Jahrhundert bis in die Gegenwart nach - mit einer so umfassenden und detaillierten Faktenkenntnis, daß dem Buch schon jetzt der Rang eines Standardwerkes nachgesagt werden darf. Und es ist der akribische Blick in die politischen und geschichtlichen Hintergründe, der es dem Leser ermöglicht, entscheidende Kontexte zu erkennen und wesentliche Zusammenhänge zu erfassen. Das im Vorwort gegebene Versprechen, das Buch werde „dem Leser ihm bisher unbekannte Tatsachen und Zusammenhänge vermitteln“, löst der Autor auf den 311 Seiten tatsächlich ein. Und glänzend eingelöst wird gleichermaßen sein Vorsatz, „weitverbreiteten Legenden entgegenzuwirken und ein realistisches Bild über Rolle und Platz dieser Kirche zu vermitteln“.

Zu einer dieser vielen Legenden gehört die Heroisierung der Katholischen Kirche in den Zeiten der drei Teilungen Polens. Weil politisch außerordentlich opportun, wird dieses Mythe vom Klerus bis heute bestens gepflegt und natürlich ausgeblendet, daß es gerade die rigorose Machtpolitik des Episkopats war, der eine gesellschaftliche Reformbewegung mit allen Mitteln zu verhindern suchte und Polen damit in einen politisch so desolaten Zustand brachte, daß Rußland, Preußen und Österreich 1772 völlig freie Hand hatten, sich das Land einzuverleiben. Und es kam noch katastrophaler. Nachdem am 3. Mai 1791 in Restpolen eine von der Französischen Revolution inspirierte Verfassung verabschiedet wurde, die bestimmte (aber durchaus nicht alle) Privilegien der Katholischen Kirche beschränkte, verbündete sich diese Kirche mit allen nur denkbaren reaktionären Kräften und rief ausgerechnet Rußland zu Hilfe, um die Maiverfassung zu Fall zu bringen. „Das Volk von Warschau antwortete auf diesen nationalen Verrat mit einem Volksaufstand, bei dem die Bischöfe Kossakowski und Massaski öffentlich als Staatsverräter hingerichtet wurden. Über diesen Verrat schweigt sich die kirchliche Geschichtsschreibung hingegen aus. Doch die progressiven bürgerlich-liberalen Kräfte konnten sich letztlich nicht durchsetzen und die Unabhängigkeit Polens retten. Polen verlor 1795 seine Eigenstaatlichkeit ... und verschwand für 123 Jahre von der politischen Landkarte Europas.“ (S. 19) Selbst das 1807 von Frankreich geschaffene Großherzogtum Warschau, „der erste erfolgreiche Versuch der Restituierung Polens“ (S. 20) wurde weder vom Papst noch von der polnischen Hierarchie akzeptiert.

Von Kapitel zu Kapitel werden Michaels Entmythologisierungen immer spannender. Und dabei bleibt der Autor stets unpolemisch und präsentiert lediglich die bruta facta. Die aber haben es in sich. Und es sind eben diese Fakten, die auch die Mythe zerstören, im Widerstand gegen die faschistische Okkupation habe die Katholische Kirche eine entscheidende Rolle gespielt. Weil Michael sich auch in Geheimarchiven bestens auskennt, kann er eine 1942 für die Londoner Exilregierung erstellte Einschätzung der polnischen „Heimatarmee“ zitieren, in der es im Blick auf eben diese Rolle heißt: „Die Haltung der Geistlichkeit ist unterschiedlich, und diese Unterschiedlichkeit ist das Hauptübel der polnischen Kirche. Die Wurzel dieses Übels ist das niedrige Niveau des Episkopats. Das hingegen ist in hohem Maße die Frucht der falschen Politik unserer Regierung, die systematisch keine Leute mit Willen und Charakter Bischof werden ließ. Im Ergebnis dessen waren schon 1938 viele Diözesen nicht besetzt, und die Mehrzahl der Bischöfe stand nicht auf der Höhe ihrer Aufgaben. Unter den Bischöfen herrscht ein Gefühl der Passivität, und die Priester sind ohne politische Direktiven geblieben.“ (S. 62f.) Michael ist kein Eiferer. Er spricht durchaus auch von den Verdiensten dieser Kirche. Aber die Wahrheit ist, daß der polnische Widerstand gegen die deutschen Okkupanten nicht unter der geistig-politischen oder gar moralischen Ägide der Katholischen Kirche stand.

Verbissenen Widerstand leistete diese Kirche erst, als in Polen sozialistische Verhältnisse einzuziehen begannen. Und dabei scheute sie selbst vor der Unterstützung bewaffneter Banden nicht zurück, zu denen auch zahlreiche Priester zählten, einige sogar als Kommandeure. Die offene Konfrontation mit der Volksmacht gehörte geradezu zu den Glaubensinsignien einer klerikalen Politik, die erklärtermaßen und mit allen Mitteln an der Vorstellung eines polnischen Gottesstaates festzuhalten versuchte. Natürlich wird für diese Konfrontation bis heute der Staat und nicht die Kirche verantwortlich gemacht. Aber auch diese Legende wird von Michael gründlich zerstört. Dabei zeigt er zugleich die gravierenden Defizite und Fehlentwicklungen auf, die nach 1951 auch in der staatlichen Kirchenpolitik zum Tragen kamen. „In dem Maße, wie sich die Volksmacht darauf konzentrierte, die Kirche als einzigen Hort der Reaktion zu geißeln, wuchs deren politische Bedeutung. Nun wurde die Kirche zunehmend von allen Volksmachtfeinden als politisches Zentrum verstanden und genutzt.“ (S. 149) Mit administrativen Maßnahmen allein ließ sich diese Entwicklung langfristig nicht eindämmen, auch wenn sie kurzfristig durchaus griffen.

Als der Episkopat 1953 dazu aufrief, „die Freiheit des Klerus mit dem eigenen Blut zu verteidigen“ wurde der Kardinal und Primas Wyszynski verhaftet und seines Amtes enthoben. Doch nun geschah das Erstaunlichste: „Nicht nur das Episkopat setzte sich der Verhaftung ihres gewählten Führers nicht entgegen und spielte somit eine schmähliche Rolle, die in der Geschichte ihresgleichen sucht, sondern in ganz Polen rührte sich auch keine Hand zur Verteidigung des Primas. Das war möglicherweise die größte politische Niederlage des polnischen Katholizismus in seiner 1.000-jährigen Geschichte. Sie war ihm nicht von einer über Jahrhunderte geübten Staatsmacht beigebracht worden, sondern von Arbeiter- und Bauernsöhnen, auf die man seit jeher von oben herabblickte und denen man sich in jeder Lage haushoch überlegen fühlte.“ (S. 165f)

Vergessen wurde diese Niederlage niemals. Zwar hüllte sich die Kirche zunächst in Schweigen, aber schon 1956 startete sie eine klerikalpolitische Offensive, die aber nicht verhindern konnte, das Polen Ende der 70er Jahre eigentlich kein „katholisches Land“ mehr war. Doch dann kam die Wende. Als Karol Wojtyla am 16. Oktober 1978 zum Papst gewählt wurde, war eine ganz neue Lage entstanden. „Die Kirche war nun für die polnische Gesellschaft zu einer politischen Kraft mit Weltreputation geworden, an der seither kein Weg vorbeiführte.“ (S. 256) Der Rest dürfte vielen Lesern noch in lebhafter Erinnerung sein - „Solidarnoc“, Walesa, Kriegsrecht. Doch selbst diese Krise wäre überwunden worden, wenn die Konterrevolution nicht ausgerechnet in der Sowjetunion gesiegt hätte. Auch in diesen Kapiteln trägt Michael eine Fülle von Material zusammen, und überaus trefflich fallen seine eigenen Einschätzungen aus. Trefflich ist auch die Überschrift zum letzten Kapitel: „Der verlorene Sieg“. Denn für die Katholische Kirche in Polen fällt heute das Fazit der von ihr maßgeblich beförderten Konterrevolution nicht sonderlich triumphal aus: Ihre „direkte politische Einflußnahme ist mit etwa 10% auf ein historisches Minimum gesunken“. (S. 310)

„Ein politischer Überblick“, so nennt bescheiden der Autor sein Buch. Doch der Leser merkt sehr schnell, daß er zudem einen wirklichen Durchblick gewinnt. Für dieses Werk kann man Holger Michael nur danken.

Zurück zum Anfang